Food Pinch: Dynamische Wärmeintegration in der Lebensmittelindustrie

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 📅  Veröffentlicht: 20. März 2025

Effizienter produzieren? 
Lässt sich regeln.

In vielen industriellen Prozessen schlummert noch ungeahntes Potenzial zur Energieeinsparung – etwa durch die Nutzung von Abwärme oder eine effizientere Anlagenregelung. Mit der dynamischen Pinch-Methodik bietet die Veolia Tochter ÖKOTEC insbesondere der Lebensmittelindustrie einen Hebel, um die Energieverbräuche in ihren Anlagen um bis zu 25 Prozent zu reduzieren – und damit Kosten sowie CO2-Emissionen einzusparen. Der Kernansatz: Wärmequellen und -senken so miteinander verbinden, dass zu jeder Zeit die beste Energieeffizienz erreicht wird.

Ob Gemüse kochen oder Kekse backen, Pizza schockgefrieren oder Milchprodukte kühlen: Die Prozesse in der Lebensmittelindustrie benötigen jede Menge Wärme und Kälte – und sind damit sehr energieintensiv. Ihren hohen Energiebedarf decken die Unternehmen in erster Linie durch Strom und Gas. 11 Millionen Tonnen CO2-Emissionen erzeugt die Lebensmittelindustrie pro Jahr, 78 Prozent davon gehen auf den Wärme- und Kälteeinsatz zurück.

Wie viel Effizienzpotenzial in der besseren Nutzung dieser Wärme und Kälte sowie in der Verwendung von Abwärme für weitere Prozesse steckt – das zeigt das Forschungsprojekt Food Pinch. Im Rahmen des vierjährigen Projektes hat das Veolia Tochterunternehmen ÖKOTEC gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Technische Thermodynamik der RWTH Aachen die dynamische Pinch-Methodik entwickelt. Als Anwendungspartner waren die Nestle Wagner GmbH, das MAGGI Werk in Singen und die Westfälische Fleischwarenfabrik Stockmeyer GmbH mit an Bord. 

Hoher Energieverbrauch = großes Einsparpotenzial: Hier sieht man die Anteile an den THG-Emissionen des Bereichs „Kälte und Wärme“ von Deutschland, der Industrie und der Lebensmittelindustrie für das Jahr 2022. Die Lebensmittelindustrie hat einen extrem hohen Anteil und kann deshalb viel einsparen.

Von kalt zu heiß

Die Herausforderungen in der Lebensmittelindustrie bestehen in den sehr flexiblen Wärmebedarfen und unterschiedlichen Temperaturniveaus. So werden laut Umweltbundesamt für das Schockfrosten von Lebensmitteln Temperaturen von etwa -35 °C benötigt, für die Kühlung von Milch und Molkereiprodukten dagegen +4 °C. Auch die jahreszeitenabhängige Produktion von einzelnen Produkten, wie etwa Grillwürstchen oder auch Reinigungsprozesse beeinflussen, wie viel Wärme und Kälte zu welcher Zeit wo gebraucht wird. Kurzum: Die Anforderungen an Wärme und Kälte sind alles andere als statisch. Deshalb ist die klassische Pinch-Analyse zur Ermittlung von Energiesparpotenzialen in stationären Prozessen für die Lebensmittelindustrie nicht ausreichend geeignet. Die dynamische Pinch-Methodik ist dagegen speziell darauf zugeschnitten, eine thermische Vernetzung bei sich häufig ändernden Wärmebedarfen und unterschiedlichen Temperaturniveaus zu ermöglichen mit dem Ziel, möglichst wenig externe Wärme und Kälte zu verwenden. Das spart nicht nur Energie, sondern hilft auch, die Anforderungen aus dem Energieeffizienzgesetz zu erfüllen. Dieses schreibt bei einem durchschnittlichen Gesamtenergieverbrauch von mehr als 2,5 GWh pro Jahr die Nutzung von Abwärme vor.

Lesen Sie dazu auch die VEOLUTIONS Artikel „Energieeffizienzgesetz: Pflichten und Chancen“ und „Auftrieb mit Abwärme“ .

„Aktuell liegen in der Ernährungsindustrie große Potenziale zur Einsparung von Erdgas und Strom brach. Im Rahmen des Projektes Food Pinch haben wir ein Verfahren entwickelt, um diese Potenziale durch die Integration von Wärme- und Kälteströmen systematisch zu nutzen.“

Knut Grabowski, EnEffCo® Leading Consultant Research & Development, Partner


Nachgefragt

Wir sprachen mit Knut Grabowski, Leading Consultant Research & Development bei EnEffCo® und Partner bei ÖKOTEC Energiemanagement, über die Entwicklung der dynamischen Pinch-Methodik und die damit verbundenen Chancen zur Energieeinsparung.

VEOLUTIONS: Herr Grabowski, es gibt ja bereits die klassische Pinch-Analyse. Was beinhaltet sie und wo liegt ihr Anwendungsbereich? 

Knut Grabowski: Die Pinch-Analyse ist eine Methode zur Ermittlung von Energiesparpotenzialen in industriellen Prozessen. Das heißt: Im Rahmen der Analyse werden sämtliche Produktionsschritte betrachtet, die Wärme benötigen oder abgeben. Anschließend wird berechnet und ausgelegt, welche Vernetzung der Prozesse am meisten Energie und Wärmekosten einspart. Die klassische Pinch-Analyse ist auf stationäre Prozesse ausgelegt, bei denen sich die Temperaturniveaus sowie die Kälte- und Wärmeverbräuche zeitlich nicht ändern. Vorrangig wurde sie für Raffinerien entwickelt.

VEOLUTIONS: Warum eignet sich die klassische Pinch-Analyse nicht für die Lebensmittelindustrie?

Knut Grabowski: Die Prozesse in der Lebensmittelindustrie sind nicht gleichbleibend, mal benötigen sie mehr, mal weniger Wärme, und auch die Temperaturniveaus schwanken. Die klassische Pinch-Analyse ist hier deshalb nur begrenzt anwendbar. Um die aber durchaus vorhandenen Strom- und Gaseinsparpotenziale in der Lebensmittelindustrie zu heben, haben wir gemeinsam mit der RWTH Aachen eine dynamische Pinch-Methodik entwickelt. Sie ermöglicht es einem Betrieb, die thermische Vernetzung der Prozesse jederzeit an wechselnde Wärmebedarfe und Temperaturniveaus anzupassen. Das heißt: Mit dieser Methodik kann permanent abgeglichen werden, wo Wärme und Kälte im Produktionsprozess anfallen und wo diese sinnvoll genutzt oder zwischengespeichert werden können. Sie ermöglicht also eine zielgenaue Anpassung der Prozesse, wodurch Energie und Kosten zur Wärmeversorgung zu jedem Zeitpunkt minimal gehalten werden können und CO2 eingespart werden kann. 

Zusätzlich zur Optimierung der Kälte- und Wärmeströme wird auch die Bezugseffizienz für Strom hinsichtlich der Erzeugung und Verteilung berücksichtigt.

VEOLUTIONS: Und wie sieht diese dynamische Pinch-Methodik aus?

Knut Grabowski: Basis für die Analyse ist die Messung diverser Parameter an den Anlagen, wie zum Beispiel Temperaturen, Energieaufwände etc. Diese Parameter werden dann in Beziehung zueinander gesetzt und es wird daraus abgeleitet, unter welchen Bedingungen die größte Energieeffizienz erzielt werden kann. Wenn man die Prozesse genau analysiert, gibt es tatsächlich viele Stellschrauben, an denen wir drehen können, um Energie einzusparen. Dabei gilt es immer, die optimale Balance zu finden. 

VEOLUTIONS: Können Sie das einmal anhand eines Beispiels erläutern?

Knut Grabowski: Beispielsweise gibt die Kältereerzeugung in einem Betrieb ihre Wärme an einen Kühlturm ab, der sie rückkühlt. Man kann diese Wärme aber auch nutzen, um zu bestimmten Tageszeiten große Mengen Reinigungswasser auf 30 bis 40 °C zu erwärmen. Mittels der Pinch-Methodik kann ich nun ermitteln, was wann am effizientesten ist: Wenn ich große Mengen erwärmtes Reinigungswasser benötige, kann es zum Beispiel Sinn machen, in dieser Zeit die Rückkühltemperatur der Kälteerzeugung hochzufahren, um mehr Abwärme für die Wassererwärmung nutzen zu können. Sind die Reinigungen abgeschlossen, kann ich die Rückkühltemperatur wieder runterfahren, weil ich weniger Abwärme benötige und so den Stromverbrauch der Kälteerzeugung verringere. 

Ein anderes Beispiel: Auch die Erzeugerreihenfolge ist eine Stellgröße. Wenn ich zum Beispiel sechs Kälteerzeuger habe, kann ich die für die jeweilige Anforderung günstigste Paarung ermitteln, beispielsweise abhängig von der Außentemperatur, der Tageszeit etc. Durch die gezielte Reihenschaltung lässt sich bereits Energie einsparen.


Beispiel Kühlwasserversorgung

Erreichte Energieeinsparung bei einer optimierten Regelung der Vorlauftemperatur

Abb. 1: Die obere Grafik zeigt die elektrische Leistung der Kühlwasserversorgung. In Grau sind die Betriebszeiten der Food-Pinch-Regelung dargestellt. In diesen Zeiten ist zu erkennen, dass die tatsächliche elektrische Leistung (gelb) in der Regel deutlich unter dem erwarteten Wert (schwarz) liegt. Die durchschnittliche Einsparung beträgt 18,2 Prozent.

Abb. 2.: Die untere Grafik zeigt die manipulierte Stellgröße Kühlwasservorlauftemperatur und eine für Kühltürme wichtige externe Einflussgröße, die Feuchtkugeltemperatur (blau). Es ist zu erkennen, wie die durch die Food-Pinch-Regelung gewählte Vorlauftemperatur (türkis) vom Sollwert abweicht.


VEOLUTIONS: Ein Parameter in Ihrer Analyse ist auch die Bezugseffizienz, sprich die Energiepreise. Welche Vorteile bringt das für Unternehmen mit sich?

Knut Grabowski: Strom- und Erdgaspreise schwanken, beim Strom vor allem aufgrund der volatilen erneuerbaren Energien. Es kann also mit Blick auf die Energiekosten Sinn machen, beispielsweise den Kältespeicher zu füllen, wenn der Strompreis gerade niedrig ist. Oder man kann im Sommer bestimmte Prozesse dann durchführen, wenn viel Solarenergie produziert wird und der Strompreis entsprechend günstiger ist. Diese zeitlichen Unterschiede beziehen wir in unsere Methodik mit ein, um sämtliche Stellgrößen für die größtmögliche Energie- und Kosteneffizienz zu ermitteln. Wir gehen also über die reinen Produktionsprozesse hinaus. 

VEOLUTIONS: Können Unternehmen mittels der dynamischen Pinch-Methode ihre Anlagen auch regeln?

Knut Grabowski: Ja. Die dynamische Pinch-Methode kann nicht nur für die Planung verwendet, sondern auch für die Regelung der Anlagen eingesetzt werden. Die dynamische Pinch-Regelung kann mithilfe des Moduls EnEffReg® in unserer Energieeffizienz-Software EnEffCo® automatisch steuern, aus welchen Quellen die benötigte Wärme und Kälte für die verschiedenen Anwendungen stammt – und das in Echtzeit. Die Regelung basiert auf Kennzahlen und Messwerten. So können über die Wärme- und Kältenetze sowie die softwarebasierte Steuerung Energiesparpotenziale gehoben werden, die ohne dynamische Pinch-Regelung nicht erreichbar wären.

VEOLUTIONS: Welche konkreten Veränderungen haben Sie bei Ihren Anwendungspartnern bereits umgesetzt?

Knut Grabowski: Wir haben erst einmal Softwaredemonstratoren erprobt – und das mit Erfolg. Das Einfrieren von Fertigpizza zum Beispiel verbraucht bei Wagner am meisten Energie. Deshalb haben wir hier die Stellgrößen für die Kälteerzeugung optimiert, das heißt, wir haben Sollwerte ermittelt, also wie die Anlage optimal eingestellt werden sollte. Ein Teil der Ergebnisse konnte bereits durch manuelle Regelung umgesetzt werden und hat entsprechende erste Einsparungen ermöglicht. In Zukunft sind noch weitere Anpassungen geplant. Insgesamt lässt sich sagen: Es gibt in nahezu jedem industriellen Prozess noch Effizienzpotenzial, man muss es nur entdecken und heben.

VEOLUTIONS: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Grabowski.
 


Das Forschungsprojekt Food Pinch wurde gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Förderkennzeichen: 03EN2031A


 

Auf einen Blick

Dynamische Pinch-Regelung mit ÖKOTEC:

Berechnung der Einsparpotenziale

ÖKOTEC berechnet die Höhe des Energieeinsparpotenzials und gibt an, an welchen Anlagenteilen es zu erreichen ist.

Durchführung von Simulationen

ÖKOTEC stellt Szenarien auf, zum Beispiel: Wenn wir den Anlagenverbund auf die Weise x verändern, würde das die Menge y an Energie einsparen. So wird etwa ermittelt, welche Ersparnis der Einbau einer neuen Wärmepumpe oder die Veränderung der Hydraulik bringen würde.

Optimierte Regelung der Anlagen

Mittels EnEffReg® werden die Versorgungsanlagen kennzahlen- und messbasiert gesteuert, wodurch Energieeinsparungen erreicht werden.

Weitere Informationen zum Forschungsprojekt

FuE mit ÖKOTEC und der RWTH Aachen

Weitere Informationen zum Forschungsprojekt Food Pinch erhalten Sie im Artikel im Fachportal Industrie-Energieforschung.

Vorzeigeprojekt auf Forschungskongress

Unser Forschungsprojekt Food Pinch wurde auf dem zweitägigen Kongress „Energieeffizienzforschung für Industrie und Gewerbe“ präsentiert.

Kontakt

Ihr Ansprechpartner:

Knut Grabowski
EnEffCo® Leading Consultant Research & Development, Partner

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